| Das ist doch ewig lange her,
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| ist vergessen, das war mal,
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| das gibt’s heut nicht mehr.
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| So sollte man meinen und doch:
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| So was gibt es noch.
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| So was gibt es noch.
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| Erstes Schuljahr: vierzig Mark im Monat. |
| Tagesablauf wie folgt: morgens um sieben zum Bus. |
| Brote, Henkelmann in der Aktentasche und Ermahnungen:
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| «Ernst des Lebens — Lehrjahre sind keine …» und so weiter. |
| Dann in der Firma
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| Pampelmusen, Teebeutel, Joghurt einkaufen für die Kollegen zum Frühstück.
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| Dann Ware auspacken, ins Lager einräumen, Etiketten kleben, dann Glühbiernen
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| auswechseln — Mittagspause. |
| Dann in den Schaufenstern Schuhe, Glasplatten
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| abstauben, dann in den Keller, Arbeitsstiefel fetten. |
| Neunzehn Uhr — Feierabend.
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| Das ist doch ewig lange her …
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| Zweites Lehrjahr, 60 Mark im Monat, Tagesablauf genau wie im ersten.
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| Nur alle vierzehn Tage Nachtarbeit. |
| Dafür durften wir abends warm essen,
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| auf Geschäftskosten. |
| Ich bekam das erste Steak meines Lebens mit vierzehn.
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| Einmal setzte sich der Chef zu uns und bestellte sich ein Mettbrötchen und
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| erzählte, wie er angefangen hat mit einem Bauchladen, Schürsenkel.
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| Durch Fleiß und Sparsamkeit heute Besitzer einer Ladenkette, Präsident des
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| deutschen Schuheinzelhandels. |
| Mein erstes Steak — ich hb es wieder ausgekotzt.
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| Das ist doch ewig lange her …
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| Drittes Lehrjahr, 80 Mark im Monat, Tagesablauf wie gehabt. |
| Hinzu kam das
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| Bedienen der Kunden in Stoßzeiten, dann die Verwaltung des Gummistiefellagers,
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| Aufblasen von Reklameluftballons und wachsender Unmut unter uns Lehrlingen.
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| Gewerkschaften kannten wir nicht, aber trotzdem wurde ein Sprecher gewählt,
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| und das ist in so einem Fall immer der Naivste oder Mutigste. |
| Ich war beides,
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| also sprach ich. |
| Ergebnis: Ich bekam das Filzpantoffellager noch hinzu,
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| durfte am Betriebsausflug nicht teilnehmen, und die Kollegen schnitten mich.
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| Das ist doch ewig lange her …
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| Ende der Lehrzeit: was hatte ich eigentlich gelernt — so gut wie gar nichts.
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| Dann die Prüfung, alle wussten, ich würde durchfallen, aber ich bestand.
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| Freisprechung mit allem Drum und Dran, Streichquartett, Reden,
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| Kaufmannsgehilfenbrief, Glückwünsche. |
| Nur die Geschäftsleitung war sauer.
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| Und warum? |
| Sie hätte mich gern durchfallen sehen, um mich als billige
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| Arbeitskraft noch ein Jahr länger behalten zu können. |
| Nun, drei weitere Jahre
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| habe ich das noch mitgemacht, bevor ich mich traute zu sagen: Das ist nicht
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| mein Leben.
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| Das ist doch ewig lange her … |