| Du hör mal, eben ruft mich Walter an, es geht da um die neue Produktion | 
| Also, wir fangen schon am Freitag an, und den Termin für's Studio hat er schon | 
| Und auch das mit den Musikern, um die ich gebeten hab', geht alles klar | 
| Und es kommt auch wieder dieselbe Mannschaft, die 's letzte Mal dabeigewesen war | 
| Und dann hat er sich noch nach dir erkundigt und nach deinem Wohlergeh’n gefragt | 
| Und dass ich’s nicht vergesse, dich herzlich von ihm zu grüßen, hat er noch | 
| gesagt | 
| Und ganz zum Schluss, als ich den Hörer schon auflegen wollte, rutscht es ihm | 
| noch raus | 
| Dass Atze Lehmann sich erschossen hat im Garten, hinter seinem Haus | 
| Ich kann das gar nicht richtig glauben, Menschenskind, das kann doch gar nicht | 
| möglich sein! | 
| Das geht ganz einfach nicht in meinen Kopf, das kann ich einfach nicht | 
| begreifen, nein | 
| Das sind so Sachen, wie sie immer in der Zeitung auf der letzten Seite steh’n | 
| So zwischen Rauferei’n und Diebstahlsmeldungen. | 
| Das kann ich einfach nicht | 
| versteh’n! | 
| Und über so was les' ich immer unbeteiligt und fast gleichgültig hinweg | 
| So was passiert immer woanders, so was passiert immer Ander’n und weit weg | 
| Und mit demselben Blick les' ich oft noch die Kleinanzeigen und mach' mir | 
| nichts draus | 
| Und jetzt erschießt sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus | 
| Ich kann mich gut an ihn erinnern, ohne je enger mit ihm bekannt zu sein | 
| Mit seinem struppigroten Haar stand er vor mir, ein Monument aus rotem Stein | 
| Mit seinen ausgebeulten Hosen und Sandalen mit viel Platz für fünf Paar Zeh’n | 
| Den großen Augen eines Bär'n, dem Schnurrbart von einem Lufthansakapitän | 
| Und als ich ihn begrüßte, dacht' ich, der hat Hände wie Klosettdeckel so groß | 
| Und als ich ihn am Flügel sitzen sah, spielen hörte, fragte ich mich bloß: | 
| Wie kriegt der Mann zwischen den Tasten seine Finger wieder vollzählig heraus | 
| Und jetzt erschießt sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus | 
| Das bisschen, was ich von ihm weiß, hat er mir irgendwann im Studio selbst | 
| erzählt | 
| Zwischen zwei Titeln, und er schien mir nicht der Typ, den immerzu der Zweifel | 
| quält | 
| Von seiner Frau, von seinen Kindern, Haus und Garten und dem nächsten | 
| Urlaubsziel | 
| Und abends wär' die elektrische Eisenbahn von seinem Sohn sein Lieblingsspiel | 
| Und dass er irgendwann mal Flieger werden wollte, aber dann kam ja der Krieg | 
| Und schließlich kam er, wie wir alle, wie die Jungfrau zum Kind kommt, zur Musik | 
| Und wenn er jemals wieder fliegen würde, dann im Suff aus dem Orchester raus | 
| Und jetzt erschießt sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus | 
| Dann hab' ich ihn noch mal getroffen, letzten Herbst auf der Stadtautobahn | 
| Da fuhr er eine Zeitlang hinter mir und blinkte mich wie ein Verrückter an Und vor 'ner Wurstbude in Tegel stieg er aus dem alten rost’gen BMW | 
| Und sagte: «Hallo, alter Freund, ich freu mich riesig, dass ich dich mal | 
| wiederseh'» | 
| Dann hat er mir noch eine Currywurst spendiert, und beim Essen haben wir | 
| Ein bisschen vom Geschäft geplaudert und mit vollem Mund noch sagte er zu mir: | 
| «Ich habe jetzt die ganz große Nummer geschrieben, kommt nächste Woche raus!» | 
| Und jetzt erschießt sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus | 
| Du, weißt du, eigentlich geht uns ja die ganze Geschichte überhaupt nichts an Wir kannten ihn ja nur so eben, ändern können wir ja auch nichts mehr daran | 
| Und doch ist mir, wenn ich dran denke, irgendwie, als wär's Winter, | 
| als würd' ich frier’n | 
| Als hätt' ich eben einen Freund gewonnen, nur um ihn gleich wieder zu verlier’n | 
| Als ob seitdem all das geschehen ist, wir beinahe alte Verwandte war’n | 
| Was um alles in der Welt ist denn bloß in den alten Spaßvogel gefahr’n? | 
| Und je mehr ich drüber nachdenk', desto wen’ger werd' ich schlau daraus | 
| Da erschießt sich Atze Lehmann im Garten, hinter seinem Haus |