| Ein ungewohnter Hauch von Feiertag liegt auf der Stadt. | 
| Kein Stau, kein Lärm, die Schienen der Strassenbahn glaenzen matt | 
| n der Vormittagssonne. | 
| Noch ein Spaetsommeridyll! | 
| Die Laeden sind geschlossen, all die Fahnen haengen still. | 
| Seit vierundzwanzig Jahr’n ist Mehmet in der Giesserei. | 
| Seit vierundzwanzig Jahr’n kommt er hier jeden Tag vorbei. | 
| Heut hat er keine Eile. | 
| Er kann im Voruebergehn im TV-Shop im Schaufenster die Feierstunde sehn: | 
| Dreiduzendfach der Praesident von einer Monitorwand, | 
| Und es geht um Recht und Freiheit — fuer jeden in diesem Land. | 
| Mehr als die Haelfte seines Lebens arbeitet er hier. | 
| Zwei Toechter und ein Sohn sind aufgewachsen im Revier. | 
| Seine Kollegen moegen ihn, still und gewissenhaft, | 
| Drei Zimmer und ein Ford Escort, ja, Mehmet hat’ls geschafft, | 
| Mit Ueberstunden auch mal ein Besuch in der Tuerkei. | 
| Ein Angetrunk’ner streift ihn, eine kleine Rempelei, | 
| Und lallend dreht der Mann sich um, bierduenstend und verschwitzt, | 
| Und Mehmet sieht die Klinge nicht, die hinter ihm aufblitzt, | 
| Und grundlos, wie von Sinnen, sticht der Fremde auf ihn ein, | 
| Und das Fernsehbild wird dunkelrot und er faellt wie ein Stein. | 
| Und die Leute auf der Strasse? | 
| Alle haben sie’s gesehn, | 
| All die unbescholt’nen Muerger, die im Halbkreis um ihn stehn. | 
| Keiner hat ihn beigestanden, keinem kommt es in den Sinn, | 
| Ihm zu helfen, ihm zt troesten, keiner kniet sich zu ihm hin. | 
| Und im Fernsehn dingen sie die Strophe von der Einigkeit. | 
| Und der Notarztwagen kommt nach einer halbe Ewigkeit. | 
| Und sie reinigen das Pflaster, dort, wo er noch eben lag. | 
| Und eigentlich war heut fuer alle doch ein guter Tag — | 
| Doch seit den Vier-Uhr-Nachrichten ist der Tag nicht mehr gut, | 
| Da sind noch nur Schmerz und Trauer, und mir ist zum Heul’n | 
| zumut'. |