| Die Tür aus gold‘nem Draht steht unverschlossen
|
| Nur einen Augenblick, doch lang genug
|
| Das Fenster, achtlos angelehnt, knarrt leise
|
| Und öffnet einen Spaltbreit sich im Zug
|
| Das ist die grosse, langersehnte Chance
|
| Sie kommt nur einmal, jedes siebte Jahr:
|
| Der Käfig offen und zugleich das Fenster
|
| Ergreife sie im Flug, jetzt nimm sie wahr!
|
| Den Kopf tief eingezogen ins Gefieder
|
| Ein Zögern, dann ein rascher Flügelschlag
|
| Um aufzusteigen aus der dunklen Stube
|
| Hoch in den gleissend hellen Vormittag
|
| Frei, frei, frei!
|
| Endlich frei!
|
| Der Gefangenschaft entflohen
|
| Alles and‘re einerlei
|
| Du bist frei, frei, frei
|
| Endlich frei!
|
| Du, das Symbol der Freiheit, eingeschlossen
|
| Die Welt auf zwei Spannweiten eingeengt
|
| Das eig‘ne Bild als einzigen Gefährten
|
| Im Spiegel, der an einem Kettchen hängt
|
| Nur ein Bewegungsablauf immer wieder
|
| Bis zur Verzweiflung, stumpfsinnig gemacht
|
| Ein Tuch, über das Drahtgeflecht geworfen
|
| Bestimmt, ob für dich Tag ist oder Nacht
|
| Manchmal flatterten Schatten vor dem Fenster
|
| Da war ein Zanken, Zetern und Getos‘
|
| Das Rascheln und das Singen ihrer Schwingen —
|
| Wie beneidetest du sie um ihr Los!
|
| Frei, frei, frei!
|
| Endlich frei!
|
| Der Gefangenschaft entflohen
|
| Alles and‘re einerlei
|
| Du bist frei, frei, frei
|
| Endlich frei!
|
| Du ziehst am klaren Himmel deine Kreise
|
| Den Wind unter den Flügeln wie im Rausch
|
| Ein eis‘ger Hauch statt der vertrauten Wärme
|
| Verlor‘n, verirrt und doch ein guter Tausch!
|
| Du wirst dein Valparaiso nicht finden
|
| Nur Neid und Zank um deine Federpracht
|
| Um ein paar Krumen aus dem Abfall streiten
|
| Um eine Mauernische heute nacht
|
| Du wirst nicht lang hier draussen bleiben können
|
| Von Hunger und von Kälte ausgezehrt
|
| Du wirst dein Valparaiso nicht finden
|
| Doch jeder Flügelschlag dahin war‘s wert!
|
| Du bist frei!
|
| Endlich frei!
|
| Der Gefangenschaft entflohen
|
| Alles and‘re einerlei
|
| Du bist frei, frei, frei
|
| Endlich frei! |