| Ich kam von meinem Wege ab, weil es so nebeldunstig war.
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| Der Wald war feuchtkalt wie ein Grab und Finger griffen in mein Haar.
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| Ein Vogel rief so hoch und hohl, wie wenn ein Kind im Schlummer klagt
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| und mir war kalt, ich wußte wohl, was man von diesem Walde sagt!
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| Dann setzt' ich wieder Bein vor Bein und komme so gemach vom Fleck
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| und quutsch' im letzen Abendschein schwer vorwärts durch Morast und Dreck.
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| Es nebelte, es nieselte, es roch nach Schlamm, verfault und naß,
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| es raschelte und rieselte und kroch und sprang im hohen Gras.
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| Auf einmal, eh ich’s mich versehn, bin ich am Strom, im Wasser schier.
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| Am Rand bleib ich erschrocken stehn, fast netzt die Flut die Sohle mir.
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| Das Röhricht zieht sich bis zum Tann und wiegt und wogt soweit man blickt
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| und flüstert böse ab und an, wenn es im feuchten Windhauch nickt.
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| Das saß ein Kerl! |
| Weiß Gott, mein Herz stand still, als ich ihn sitzen sah!
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| Ich sah ihn nur von hinterwärts, und er saß klein und ruhig da.
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| Saß in der Abenddämmerung, die Angelrute ausgestreckt,
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| als ob ein toter Weidenstrunk den dürren Ast gespenstisch reckt.
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| «He, Alter!"ruf ich, «beißt es gut?"Und sieh, der Baumstamm dreht sich um und wackelt mit dem runden Hut und grinst mit spitzen Zähnen stumm.
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| Und spricht, doch nicht nach Landesart, wie Entenschnattern, schnell und breit,
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| kommt’s aus dem algengrünen Bart: «Wenn's regnet, hab' ich gute Zeit»!
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| «So scheint es», sag ich und ich schau in seinen Bottich neben ihn.
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| Da wimmelts blank und silbergrau und müht sich mit zerfetzem Kiem´,
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| Aale, die Flossen zart wie Flaum, glotzäugig Karpfen. |
| Mittendrin,
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| ich traue meinen Augen kaum, wälzt eine Natter sich darin!
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| «Ein selt’nes Fischlein, Alter, traun!"Da springt er froschbehend empor.
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| «Die Knorpel sind so gut zu kaun"schnattert listig er hervor.
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| «Gewiß seid ihr zur Nacht mein Gast! |
| Wo wollt ihr heute auch noch hin?
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| Nur zu, den Bottich angefaßt! |
| Genug ist für uns beide drin!»
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| Und richtig watschelt er voraus, patsch, patsch am Uferrand entlang.
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| Und wie im Traume heb ich auf und schleppe hinterdrein den Fang.
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| Und krieche durch den Weidenhag, der eng den Rasenhang umschmiegt,
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| wo, tief verborgen selbst am Tag, die schilfgebaute Hütte liegt.
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| Da drinnen ist nicht Stuhl, nicht Tisch, der Alte sitzt am Boden platt,
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| es riecht nach Aas und totem Fisch, mir wird vom bloßem Atmen satt.
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| Er aber greift frisch in den Topf und frißt die Fische kalt und roh,
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| packt sie beim Schwanz, beißt ab den Kopf und knirscht und schmatzt im Dunkeln
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| froh.
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| «Ihr eßt ja nicht! |
| Das ist nicht recht!"Die Schwimmhand klatscht mich fett aufs
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| Knie.
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| «Ihr seid vom trockenen Geschlecht, ich weiß, die Kerle essen nie!
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| Ihr seid bekümmert? |
| Sprecht doch aus, womit ich Euch erfreuen kann!»
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| «Ja», klappre ich: «Ich will nach Haus, aus dem verfluchten Schnatermann.»
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| Da hebt der Kerl ein Lachen an, es klang nicht gut, mir wurde kalt.
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| «Was wißt denn Ihr vom Schnatermann?""Ja», sag ich stur,"so heißt der Wald.»
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| «So heißt der Wald?"Nun geht es los, er grinst mich grün und phosphorn an:
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| «Du dürrer Narr, was weißt du bloß vom Schnater-Schnater-Schnatermann?!»
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| Und schnater-schnater, klitsch und klatsch, der Regen peitscht mir ins Gesicht.
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| Quatsch´ durch den Sumpf, hoch spritzt der Matsch, ein Stiefel fehlt — ich acht
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| es nicht.
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| Und schnater-schnater um mich her, und Enten-, Unken-, Froschgetöhn.
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| Möwengelächter irr und leer und tief ein hohles Windgestöhn…
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| Des andern Tags saß ich allein, nicht weit vom prasslenden Kamin
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| und ließ mein schwer gekränkt´ Gebein wohlig von heißem Grog durchziehn.
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| Wie golden war der Trank, wie klar, wie edel war sein starker Duft!
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| Ich blickte nach dem Wald — es war noch sehr viel Regen in der Luft…
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| Ina Seidel (1885−1974) |